„Darf ich Ihnen eine etwas ungewöhnliche, vielleicht auch schwierige Frage stellen…“
– so leite ich in einem Coachinggespräch oft die sogenannte Wunderfrage ein.
Diese Wunderfrage ist ein sehr wirksames Coachingtool, um mit dem Coachee große Schritte auf dem Weg zur Lösung zu gehen. Sie stammt aus der lösungsfokussierten Beratung.

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Zum Hintergrund der Wunderfrage

Der Name "Wunderfrage" führt etwas in die Irre. Denn die Wunderfrage ist nicht eine einzige Frage, sondern ein ganzer Fragenkomplex oder besser noch: Ein komplettes Tool, das aus mehreren Fragen besteht. Diese Fragen können einen ganz entscheidenden Schritt bei deinem/deiner Coachee auf dem Weg zur Lösung bewirken.

Entwickelt wurde die Wunderfrage von Steve de Shazer und seiner Frau Insoo Kim Berg.
Es gibt dazu eine ganz nette Geschichte, wie diese Methode entstanden ist:

In einem Beratungsgespräch sagte der Klient frustriert: "Ach ich glaube, mir kann nur noch ein Wunder helfen". 
Insoo Kim Berg antwortete daraufhin: "Wenn dieses Wunder geschehen wäre, woran würden Sie denn merken, dass dieses Wunder geschehen ist?"

Da diese Frage von Insoo Kim Berg in diesem Beratungsgespräch einen echten Fortschritt gebracht hat, haben de Shazer und Berg damit weiter experimentiert. Daraus ist die Methode der Wunderfrage entstanden. Sie gehört inzwischen zu einem sehr beliebten und vor allem sehr wirksamen Tool in der lösungsfokussierten Beratung.

Einsatzgebiet: Für welche Situationen im Coaching ist die Wunderfrage geeignet?

1) Herausfinden des Zieles

Ein Beispiel: Der junge Mann, der mir im Coachinggespräch gegenüber sitzt, ist sehr unzufrieden: Er kommt mit seinem Studium nicht voran und verbringt sehr viel Zeit mit Computerspielen. Aber: Wenn ich ihn in unserem Coachinggespräch direkt frage:
"Wo wollen Sie denn hin?" oder: "Was wäre für Sie ein gutes Ergebnis unserer Zusammenarbeit?", dann fällt ihm nicht sehr viel ein. Und er kommt sehr schnell wieder darauf zu sprechen, was ihn stört und wie unzufrieden er ist.
In solchen Fällen ist es oft sehr hilfreich, mit der Wunderfrage zu arbeiten.

 

2) Das Ziel für das Coaching konkretisieren

Oft ist es wichtig, ein vom Coachee formuliertes Ziel noch einmal genauer zu betrachten, es lebendig werden zu lassen und dem Coachee zu helfen, sich dieses Ziel in Bilder vorzustellen.
Man sagt auch "das Ziel hinter dem Ziel zu finden" oder das "Bedürfnis hinter dem Ziel". Ums dies zu erreichen ist es sehr sinnvoll, mit der Wunderfrage zu arbeiten.

In unserem Beispiel könnte der junge Mann auch sagen: "Mein Ziel ist es, so zu arbeiten, dass es mir Freude macht, das heißt, dass ich in meinem Studium weiter komme, mal eine Prüfung bestehe und meine Zeit nicht die ganze Zeit mit Computerspielen verbringe, sondern sinnvoll."

In einem Coachinggespräch könnte es dann darum gehen, ihn in das Erleben zu bringen, wie sein Leben aussehen würde, wenn dieses Ziel erfüllt wäre: Wie fühlt es sich an für ihn, wenn er seine Zeit sinnvoll verbringt ? Woran würde er das merken? Woran würden andere das merken?

Dies ist sehr gut mit der Wunderfrage zu erreichen. Denn durch die Wunderfrage reisen wir gedanklich in die Zukunft - und zwar in eine bestimmte Zukunft: Die Zukunft, in der das Problem des Coachee schon gelöst ist.

Und das geht folgendermaßen:

Der Ablauf: Die Wunderfrage in einzelnen Schritten

1) Einleitung zur WunderfrageZunächst ist es wichtig, die Wunderfrage einzuleiten und anzukündigen. Zum Beispiel so:

"Ich möchte Ihnen gerne eine vielleicht etwas ungewöhnliche Frage stellen. Es geht dabei darum, auch Ihre Intuition zu aktivieren, um sich auszumalen, wie ein gutes Ergebnis, ein gutes Ziel für Sie aussehen könnte"

Das schafft oft schon Interesse und ich warte dann auf die Zustimmung des/der Coachee: Das kann auch ein nonverbalen Signal wie ein kurzes Nicken sein.

Daraufhin kannst du mit der Wunderfrage beginnen:

 

2) Die Wunderfrage - Teil I

Am besten du stellst sie so, als ob du eine Geschichte erzählst - langsam und mit Pausen.

"Stellen Sie sich vor, Sie gehen nach unserer Sitzung nach Hause, Sie tun dann zu Hause das, was Sie abends zu Hause so tun. Und dann gehen Sie abends ins Bett und schlafen ein...."

Und während Sie schlafen geschieht ein Wunder:

Das Problem wegen dem Sie hierher gekommen sind, das hat sich gelöst - über Nacht.

Da Sie geschlafen haben, wissen Sie aber nicht, dass das Wunder geschehen ist.

Wenn Sie dann morgens aufwachen: Wie werden Sie entdecken, dass dieses Wunder geschehen ist?"

Und dann ist es wichtig, dem Coachee Zeit zu geben, zu überlegen.

Im Anschluss an die Antwort des/der Coachee kannst du folgendermaßen weiterfragen:

Woran noch merken Sie, dass das Wunder geschehen ist? Und woran noch?

Je nach Situation kann es dann auch gut sein, mit Fragen in den Tagesablauf des Coachee reinzugehen:
Also zum Beispiel:
"Ah okay, Sie merken es daran, dass Sie sehr früh aufstehen joggen gehen. Was machen Sie dann? Und was dann?"

Und dann kannst du den Coachee anregen, den Tagesablauf weiter zu verfolgen.

Zum Beispiel: "Und wenn Sie dann an ihrem Arbeitsplatz angekommen sind: Was machen Sie dann als erstes?"

Es kommt hier wirklich darauf an, dem Coachee Zeit zu geben, in dieses Zukunftserleben hineinzukommen und ruhig ganz detailliert ihn beschreiben zu lassen, was er macht an dem "Tag nach dem Wunder".

 

3) Die Wunderfrage - Teil II

In diesem zweiten Teil geht es darum, nach dem sozialen Kontext zu fragen. Das heißt konkret: Woran würden andere Menschen merken, dass für den Coachee über Nacht ein Wunder geschehen ist.

Die Frage, die ich stelle lautet so:

"Ohne dass Sie etwas von dem Wunder erzählen: Wer - nach Ihnen - bemerkt zuerst, dass das Wunder geschehen ist?"
Und dann weiter: "Wer bemerkt es noch?" "Wer bemerkt es danach?"

Auch hier kannst du weiter konkreter werden in deinen Fragen:
Also:

Woran bemerkt es ihre Partnerin?
Woran bemerkt es ihre Tochter/ihre Mitbewohnerin/ihre Eltern, dass das Wunder geschehen ist?
Und dann:
Wie reagiert ihre Partnerin/ihr Arbeitskollege darauf...?
Was tut ihre Partnerin / ihre Arbeitskollegin, dass sie bislang noch nicht getan hat?

Es geht also in diesem zweiten Teil der Wunderfrage darum, die veränderten Beziehungen nach außen in den Blick zu nehmen.
Du kannst den/die Coachee dazu anregen, im Kopf, kleine Szenen zu entwicklen, wer es an welchem Verhalten des Coachee bemerkt und welche Reaktionen diese veränderte Verhalten des/der Coachee bei den Personen auslöst.

Meiner Erfahrung nach entsteht bei dem Coachee durch die Wunderfrage eine Art Trance-Erleben. Er taucht innerlich in diese Vorstellung ein und erlebt, was seine Sehnsucht, seine Bedürfnisse, seine Zukunftshoffnung ist. Er wird dabei auch in den Blick nehmen, welches andere Verhalten von ihm selbst dabei zum Tragen kommt und auch welche Reaktionen dies bei anderen Menschen auslöst.

Tipps: Darauf solltest du achten

1) Rede so, als ob du eine Geschichte erzählst

Der Coachee braucht in der Regel etwas Zeit, damit vor seinem inneren Auge Bilder entstehen und er in das Erleben eintauchen kann. Diesen Prozess erleichterst du ihm, wenn du so redest, als ob du eine Geschichte erzählst: Langsam, bildhaft und mit vielen Pausen.

2) Frage und rede nicht im Konjunktiv reden, sondern im Indikativ

Der Coachee soll die "Wundersituation" möglichst präsent erleben. Dafür ist es hilfreich, wenn er nicht "von außen" auf die Situation schaut, sondern quasi live dabei ist. Du erleichterst das, wenn du nicht fragst:
"Woran würde Ihre Partnerin merken, dass das Wunder geschehen ist? Was würde sie dann tun?", sondern:
Woran merkt ihr Partnerin? Was tut sie dann?

3) Lass dich nicht abbringen von deinem Weg, wenn du die Wunderfrage gestellt hast

Es gibt einige Coachees, die brauchen etwas Zeit, sich auf diese Reise in die Zukunft einzulassen.
Ein Coachee sagt dann erstmal nur "Ach, das wäre toll, wenn das Wunder geschehen wäre". Eine andere redet viel darüber, was andere Menschen anders machen. Wieder ein anderer fängt doch wieder davon an, alle Probleme aufzuzählen.
In all diesen Situationen ist es wichtig ist, dass du dich nicht irritieren lässt, sondern auf deinem Weg bleibst: Führe den/die Coachee durch deine Fragen ganz sanft wieder in das Lösungserleben.

Wenn der Coache sagt "Ach, das wäre toll, wenn das Wunder geschehen wäre". Frage nach: Was genau ist toll, wenn das Wunder geschehen ist? Was machen sie anders?
Wenn die Coachee nur über das Verhalten anderer Menschen redet, dann frage auch "Und was machen sie dann? Was noch?"
Wenn der Coachee wieder anfängt über Probleme zu reden, erinnere ihn "Das Wunder ist geschehen"

Manchmal dauert es ein bisschen, bis sich die Coachees auf diese Reise in die Lösungszukunft einlassen. Aber wenn es dann soweit ist, dann ist das ein sehr großer Schritt für den Coachingprozess.

So geht es weiter: Wie du im Coaching mit den Ergebnissen der Wunderfrage weiterarbeiten kannst

Wie kannst du nun gut weiterarbeiten, nachdem der oder die Coachee formuliert hat, wie sein Leben aussieht, wenn über Nacht ein Wunder geschehen ist?

Nehmen wir noch einmal das Beispiel von oben:
Der junge Mann, der sehr unzufrieden ist mit seinem Studium und auch damit, dass er sehr viel Zeit mit Computerspielen verbringt.

In der Wunderfrage formuliert er (ich kürze es etwas ab), dass er das Wunder daran merkt, dass er um 7.00 Uhr aufsteht. Und - nachdem er etwas Sport gemacht hat - fährt er in die Bibliothek, um sich konzentriert mit dem Uni-Stoff auseinanderzusetzen.
Sein Mitbewohner merkt das Wunder daran, dass unser Coachee nicht in seinem Zimmer (sondern in der Bibliothek) ist. Und daran, dass sich unser Coachee (wenn er dann zu Hause ist) sich nicht darauf einlässt mit seinem Mitbewohner Computerspiele zu zocken.

Ich habe dann als Coach nach der Wunderfrage eine solche für die Zukunft formulierte Lösungssituation. Und die Frage ist, wie ich nun damit weiterarbeite.

Dies geht gut in zwei weiteren Schritten:

1) Suche nach wirklichen, schon erlebten Ausnahmen vom Problem

Zunächst frage ich den Coachee nach Ausnahmen vom Problem.
Konkret:

"Was von dem Wunderzustand haben Sie in der Vergangenheit schon - zumindest etwas und ansatzweise - erlebt?"

Du kannst mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass der Coachee schon Teile des Wunders erlebt hat. Dahinter steht die Theorie, dass Menschen nur Dinge denken und sich vorstellen können, die sie in irgendeiner Form schon einmal - zumindest teilweise - erfahren haben.
Und in diesem Schritt versuchst du nun einen Zusammenhang herzustellen zwischen dem vom Coachee beschriebenen "Tag nach dem Wunder" und den vielen ganz konkreten kleinen Erlebnissen aus der Vergangenheit die schon in die richtige Richtung gingen. Dadurch wird das Wunder für den Coachee greifbar, ein Stück in die Realität geholt, wiederholbar und verstärkbar.

 

2) Skalierungen

Die Skalierungen dienen zum einen dazu, zu überprüfen, ob der bisherige Coachingprozess und die Arbeit mit der Wunderfrage in die richtige Richtung gegangen und welche Fortschritte erzielt worden sind. Zum anderen soll aber auch deutlich werden, dass und inwiefern die vom Coachee erlebte Problemsituation veränderbar ist. Außerdem geht es darum, die weiteren Schritte auf dem Weg zur Lösung in den Blick zu nehmen.
Die Arbeit mit Skalierungen wird folgendermaßen eingeleitet:

"Stellen Sie sich eine Skala von 0-10 vor.
0 ist die Situation als Sie den Termin für dieses Coaching vereinbart haben und 10 die Situation am Tag nach dem Wunder: Wo stehen Sie jetzt?"

Wenn der Coachee dann z.B. sagt:
"Ich stehe bei 3"

kannst du folgendermaßen weiterfragen:

"Okay bei 3: Wie haben Sie es geschafft von 0 auf 3 zu kommen?"

Und dann anknüpfend an den vorigen Schritt, der Frage nach den Ausnahmen:
Sie haben vorhin von der Ausnahme berichtet, als Sie den Wunderzustand schon einmal ganz ansatzweise erlebt hatten: Wo standen Sie denn dann auf der Skala?"

Und dann kannst du auch fragen:
"Aha Sie standen schon mal bei 6. Vor unserem Coaching waren Sie bei 0. Jetzt stehen Sie bei 3. Was müssten Sie denn tun, um von 3 auf sagen wir mal 3,5 zu kommen?"

Und damit bist du dann mit deinem Coachee bei kleinen Schritten, bei Handlungsmöglichkeiten, die er angehen kann und vielleicht auch ausprobieren kann bis zur nächsten Sitzung.

Die Methodenkarte zur Wunderfrage als pdf

Auf der Methodenkarte zur Wunderfrage ist das Vorgehen strukturiert und übersichtlich dargestellt. Du kannst diese Methodenkarte zum Beispiel als "Spickzettel" mit in eine Coachingsitzung nehmen.

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Das Best-of der Coachingfragen als Download

systemische coachingfragen pdf

In diesem Whitepaper habe ich die 10 für mich wichtigsten Coachingfragen als pdf zusammengestellt.

Ich benutze diese Fragen in (fast) jedem Coachingprozess. Du erhältst das Worksheet als Begrüßungsgeschenk, wenn du dich zu meinem Newsletter anmeldest.

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